Sie ist einer seiner ersten Entwürfe und gleich einer seiner bekanntesten: die „Wagenfeld-Leuchte“, auch Bauhaus-Leuchte genannt. Wilhelm Wagenfeld war erst 24, als er sie entwickelte. Ein Jahr zuvor war er als Silberschmied-Geselle am Bauhaus in Weimar aufgenommen worden. Der Formmeister der Metallwerkstatt, László Moholoy-Nagy, hatte ihm die Aufgabe gestellt, eine einfache Tischleuchte aus Glas und Metall zu bauen. Wagenfelds Entwurf von 1924 mit dem typischen schlichten Schirm aus Opalglas und einem Schaft aus vernickeltem Stahl wird zur Designikone. Sie steht auf drei Metallkugeln, der Fuß scheint zu schweben. Keinen Schnörkel, nichts Überflüssiges hat die konsequente Leuchte, die in einer späteren Version auch mit Glassäule gefertigt wird. Nie wurde eine Leuchte öfter kopiert. Sie gilt als Inbegriff modernen Designs. 1982 wird sie mit dem Deutschen Bundespreis "Gute Form“ ausgezeichnet.
Doch Wagenfelds beliebte Leuchte stellt sich für den Gestalter als Missverständnis heraus. Bauhaus-Entwürfe sollten der Lehre nach seriell herstellbare Industrieprodukte sein und auch so aussehen. Tatsächlich wurde und wird aber jede "WA24“-Leuchte einzeln von Hand angefertigt; ein Widerspruch, den Wagenfeld erkennt; weshalb er sich wenig später, zu Beginn seiner Karriere Anfang der 30er Jahre, ausschließlich auf den Entwurf industriell zu fertigender Produkte konzentriert. Er realisiert als einer der ersten Gestalter, dass die Ästhetik im 20. Jahrhundert nicht durch künstlerische und handwerklich hergestellte Einzelstücke geprägt sein wird, sondern durch tausendfach seriell produzierte Massenartikel. Wagenfeld war der erste deutsche Industriedesigner, lange bevor es die Berufsbezeichnung gab.
Dabei wollte der in Bremen geborene Sohn einer Arbeiterfamilie ursprünglich Maler werden. Seine künstlerischen Ambitionen aber soll er, so fordern die Eltern, auf Basis eines soliden Berufs verfolgen. So beginnt Wagenfeld mit knapp 14 Jahren eine Lehre im Zeichenbüro der Silberwarenfabrik Koch & Bergfeld. Gleichzeitig besucht er die Bremer Kunstgewerbeschule, wo er Schrift- und Zeichenkurse belegt. Dank eines Stipendiums kann der 19-Jährige an der Staatlichen Zeichenakademie in Hanau studieren. In dieser Zeit entstehen expressionistische Holzschnitte. Der junge Künstler, der einmal gesagt hat, dass er "nicht wusste, was aus ihm werden sollte“, beginnt parallel eine Ausbildung zum Silberschmied. Doch schönen Zierrat zu fertigen reicht Wagenfeld auf Dauer nicht. Der Direktor der Hanauer Akademie gibt zu bedenken, Wagenfeld sei doch sozial eingestellt, er solle nicht Grafik für reiche Leute, sondern handfeste Dinge machen.
So entdeckt Wagenfeld 1923 das Weimarer Bauhaus und begeistert sich für die Ideale des Gründers Walter Gropius. Dort, wo "Künstler und Handwerker, Denkende und Handelnde gemeinsam und gleichberechtigt arbeiten“, will er weiterstudieren. Künstler will er nicht mehr sein. Er verschenkt seine Grafiken und zerstört alle Radierplatten und Druckstöcke.
Auch wenn der Gestalter während des zweijährigen Studiums am Bauhaus immer wieder Skepsis hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit der Bauhaus-Ideen äußert, wird die Zeit in Weimar prägend für den gesamten weiteren Werdegang Wagenfelds. Er sieht sich als Teamworker, der gemeinsam mit Technikern und Kaufleuten für den gesamten Produktionsvorgang verantwortlich ist: "Das ist vielleicht der wesentliche Unterschied zwischen dem handwerklichen Produkt und dem industriellen: Jenes ist noch immer an den einzelnen Menschen gebunden, dieses dagegen, das Industrieerzeugnis, ist Ausdruck kollektiver Arbeit und kollektiver Leistung.“
Als das Bauhaus nach Dessau umziehen muss, bleibt Wagenfeld in Weimar, wo er 1926 an der Staatlichen Bauhochschule erst Assistent und 1928 Lehrer und Leiter der Metallwerkstatt wird. Er heiratet Else Heinrich und bekommt mit ihr zwei Söhne, Johann und Heinrich. Ende der 20er Jahre entstehen Entwürfe für Tisch-, Wand- und Deckenleuchten, eine Türdrückergarnitur und einzelne Haushaltsgegenstände. Doch erst die Zusammenarbeit mit den Jenaer Glaswerken ab 1931 bringt für Wagenfeld den beruflichen Durchbruch.
Erstmals kommt der Gestalter mit Glas in Berührung – seine Begeisterung für das Material sollte ihn nie wieder loslassen. Es entstehen Klassiker aus hitzebeständigem Glas, so wie sein Teeservice, das noch heute, mehr als 80 Jahre später, in Jena unverändert hergestellt wird. Indem sich Wagenfeld intensiv mit dem für ihn neuen Material beschäftigt, vollzieht er auch einen gestalterischen Wandel weg von den geometrisch geprägten Bauhaus-Objekten hin zu eleganten organischen Formen. Er beobachtet die Glasbläser bei der Arbeit und notiert: "Nirgendwo entdecke ich eine Gerade, überall dagegen Kurven, so zart und gespannt, wie ich sie sonst nur an Gebilden der Natur gesehen habe.“ Und: "Formgeben ist träumen und denken, finden und erfinden.“
Später bringt Wagenfeld seine Arbeit, seine komplexen Experimente, seine ständige Auseinandersetzung mit konstruktiven und ergonomischen Aspekten in einem einzigen Satz auf den Punkt: "Formbilden heißt die richtige Brauchbarkeit finden!“ Dinge, die der Mensch nicht braucht, interessieren Wagenfeld ohnehin nicht. Er ist überzeugt: "Das Einfache ist anders, ist weder modern noch unmodern, es ist da, wie irgendwie neben der Zeit entstanden“ – eben selbstverständlich. "Bei meiner Tätigkeit im Jenaer Glaswerk wurde mir wieder einmal bestätigt, dass alle Vereinfachungen zum Einsparen von Material und Zeit immer gleichzeitig auch im günstigen Sinn die Form der Erzeugnisse beeinflusst.“ Nicht „Hüllenmacherei, sondern ein ernsthaftes Suchen nach Dingen, die nicht sind, ein Neufinden“ interessieren den 31-Jährigen. Wagenfeld wird engagiert, um in Jena an der Modernisierung des Fabrikprogramms mitzuwirken. Gemeinsam mit Glasbläsern und Technikern entwickelt er eine innovative Produktpalette aus feuerfestem Glas, das vom Herd direkt auf den Tisch gebracht werden kann.
Nun werden auch andere Hersteller auf den jungen Wagenfeld aufmerksam. Für die Porzellanmanufaktur Fürstenberg entwirft er 1934 das Service "639“, das noch heute in Produktion ist, für Rosenthal 1938 das Service "Daphne“, und für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke gestaltet er Vasen und Schalen. Wagenfeld erhält eine Dozentenstelle an der Staatlichen Kunsthochschule Grunewaldstraße in Berlin. Er protestiert heftig, als es 1933 durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Gleichschaltung des Werkbundes kommt, dem er angehört. Obwohl Wagenfeld mehrfach aufgefordert wird, in die NSDAP einzutreten, lehnt er dies ab. Er gibt seine Lehrtätigkeit in Berlin auf und wird künstlerischer Leiter der Lausitzer Glaswerke – damals immerhin die größte europäische Glashütte. Kein Gestalter vor ihm hatte ein gesamtes Firmenprogramm zu verantworten. Wagenfeld steht ein Entwicklungsetat von 100.000 Reichsmark zur Verfügung. Mit seinen Entwürfen widerlegt er, dass Massenware automatisch "schlecht“ ist. Sein Credo: "Auch das allerbilligste Glas kann schön sein“ – wenn das Design stimmt. Und das stimmt. Dank der Einführung der qualitätsvollen "Rautengläser“ werden die Lausitzer Werke wirtschaftlich saniert, Wagenfeld erhält für seine anspruchsvollen Entwürfe aus Pressglas internationale Anerkennung.
Zeitgleich verliebt der zweifache Vater sich neu und heiratet 1942 Erika Paulus, ein Jahr später kommt Tochter Meike zur Welt. Wagenfeld leistet mit Unterbrechungen Kriegsdienst und wird wegen seiner Weigerung, der NSDAP beizutreten, als "politischer Schädling“ an die Ostfront geschickt. Er übersteht die Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion und kehrt nach Kriegsende in sein Labor im Werk der VLG zurück. Doch das ist zerstört, mit allen Modellen und Zeichnungen. Im Anschluss an eine zweijährige Professur für industrielle Formgebung an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin ist Wagenfeld als freier Designer für Firmen wie WMF, Rosenthal, Braun und Fürstenberg tätig. Die Teilung und Isolierung der Stadt bewegt ihn dazu, Anfang der 50er Jahre nach Stuttgart zu übersiedeln. Als künstlerischer Leiter der Württembergischen Metallwarenfabrik entwirft er 1952 eines seiner bekanntesten und beliebtesten Produkte: die Salz- und Pfefferstreuer mit dem lustigen Namen "Max und Moritz“, auch "WMF-Zwillinge“ genannt.
1954 eröffnet Wagenfeld in Stuttgart das erste eigene Studio, die "Werkstatt Wagenfeld“. Seine „Versuchs- und Entwicklungswerkstatt“ betreibt der Gestalter 24 Jahre lang. Erst im hohen Alter von 78 Jahren und Hunderte Entwürfe später zieht er sich aus dem Berufsleben zurück. 1990 stirbt Wagenfeld. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, in der Geburtsstadt Bremen die Wilhelm Wagenfeld Stiftung gegründet und das Wilhelm Wagenfeld Haus eröffnet. Die größte Ehrung dürfte allerdings die massenhafte Verbreitung der Wagenfeld-Produkte im Nachkriegsdeutschland gewesen sein, denn seine von allen Modelaunen unbeeinflussten Gebrauchswaren waren und sind vor allem eines: für jeden erschwingliche schöne Dinge des täglichen Lebens.
DESIGNT FÜR DIESE HERSTELLER:
Wilhelm Wagenfelds Teeservice kennt man heute als Design-Preziose, die eher in der Vitrine als auf dem Tisch zu Hause ist; gedacht war es jedoch als preiswertes Massenprodukt, das gute Gestaltung in die Haushalte der Weimarer Republik bringen sollte. Gefertigt wurde das Service aus hitzebeständigem Jenaer Glas, das der Chemiker Otto Schott Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte.
Dass diese legendäre Tischleuchte nicht nur als "Wagenfeld-", sondern auch als "Bauhaus-Lampe" bekannt ist, kommt nicht von ungefähr: Sie ist die Weiterentwicklung eines Entwurfs, den Wilhelm Wagenfeld als junger Silberschmiedgeselle auf Anregung seines Bauhaus-Lehrers Moholy-Nagy zeichnete. Während das erste Modell noch teilweise aus Metall gefertigt war, sollten beim Nachfolger nicht nur der Schirm, sondern auch Schaft und Fuß aus Glas sein – elegant, kühl-modern und dennoch für die Massenproduktion geeignet. Es dauerte nicht lange, bis die "Wagenfeld-Leuchte" im Bauhaus-Umfeld zum Statussymbol auf dem Schreibtisch wurde, und sie ist es bis heute geblieben.
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